Perfekte Mutter, perfektes Pausenbrot…
Vor einiger Zeit war ich auf einem Workshop. Zu gewissen Teilen war es sehr lustig – zu gewissen Teilen musste ich feststellen: Ich habe kein Gewissen… Oder zumindest ein Anderes als andere Mütter. Denn ich füttere meine Kinder gewissenlos schlecht… Eine „Fun-Activity“ für gewissenhafte Muddis war es, perfekte Pausenbrote für perfekt ernährungsbewusste Kinder herzustellen. Präsentiert von einer äusserst perfekten, gesund-bewussten Mutter. Denn es ist ja so wichtig, dass das Kind sich um 10.20 Uhr in der Schule besonders gut ernährt. Ich war fasziniert. Nicht nur, dass die perfekte Mutter eine Auswahl an verschiedenen namentlich gekennzeichneten, selbstdesingten Brotboxen hochhielt, sondern auch, dass sie Zutaten nutzte, die in meiner Welt kein Kind kennt oder esen würde…
Unsere zahlreichen Brotboxen sind Werbegeschenke der Stadtwerke München. Mit Edding steht der jeweilige Kindsname drauf. Fertig – es ist eine Box, sie ist personalisiert… Und statt Dingen, die die Kinder nicht kennen, bekommen sie ein Butterbrot – mit Rinde. Was hingegen die perfekte Mutter für ihr perfektes Kind mit der perfekten Brotdose zaubert ist haute cuisine: Sie nimmt Förmchen um lustige Brotgesichter auszustechen, betreicht Alles mit lactosefreiem Auberginenaufstrich, legt gehobeltes buntes Gemüse drauf, nutzt halbierte Oliven um Augen zu gestalten und Zucchinispiralen als Mund. Als „side“ gibt es vegane Rohkost-Sesam-Kekse. Mir wird schlecht… Und meinen Kindern auch. Denn Auberginenpaste kennen meine Kinder nicht. Bei uns hat eben nicht die perfekte Mutter die Breikost angemischt, sondern Onkel HIPP. Und es ist sicherlich nicht meine Schuld, dass der Gute zu wenig Tofu, Quinoa oder anderes Superfood nutzt und meinen Kindern das daher nicht kennen…
Die perfekte Mutter – und ich…
Abgesehen von den greifbaren Zutaten fehlt mir zum perfekten Pausenbrot auch die nicht unwesentliche Zutat: ZEIT… Ein Kind muss bis 8.00 Uhr im Schulbetrieb stecken, Eines bis 8.15 Uhr im Kindergarten, Eines bis 8.30 Uhr in der Krippe, sodass Mami es schafft, selbst bis 9.00 Uhr im Büro zu sein. Und zuvor muss die Brut ja noch angezogen und ein bisschen gesäubert werden… Da ich nicht bereits um 4.30 Uhr für „Oliven-Augen-auf-Pausenbrot-Experimente“ aufstehen möchte, gibt es das einfache Butterbrot oder zur Not auch mal direkt die Butterbreze vom auf dem Schulweg gelegenen Bäcker.
Der Faktor „ZEIT“ scheint für die perfekte Mutter eh anders genutzt zu werden als von mir. Denn sie findet immer Zeit für die Bedürfnisse Anderer. Sie steht beim Fussball-Training zwei Stunden am Spielfeldrand und ist erfreut, sie organisiert als Elternbeiratsmitglied jedes Event im Kindergarten, sie hilft beim Sortieren der Spenden für die Flüchtlinge, sie unterhält sich JEDEN Tag dreißig Minuten mit allen Erzieherinnen und bringt zum Schul-Sommerfest einen Sack selbstgebackenes Brot mit. Bei mir sieht das so aus: Wenn Kind 1 trainiert, sitze ich mit Kind 2 und 3 in der Sportgaststätte und arbeite dank WLAN und iPad. Ich bin in keinem Beirat. Ich spende, aber sortiere nicht. Ich bin immer die Letzte, die die Kinder abholt und die Erzieherinnen wollen lieber nach Hause statt mir noch zu erzählen wie oft die Tochter ins Töpfchen gepinkelt hat. Ich kaufe Grill-Würstl für’s Schulfest. Dann kommt die perfekte Mutter und sagt Dinge wie: „Ach, Schweinswürste aus dem Supermarkt. Naja, irgendjemand wird sie schon essen, wenn das gute Zeug weg ist…“ Ich hasse sie…
Die perfekte Mutter ? Ich habe es durchschaut…
Wenn ich einen Funken Zeit übrig habe, gehe ich gerne zur Thai-Massage. Oder zum Yoga. Oder zu ZARA. Oder aus. Dann mache ich bevorzugt Sachen für MICH… Allein – ohne Kinder. Ich bastele nicht, ich backe nicht. Daher gibt es auf meinem facebook-Account auch keine Bilder von Mobiles oder Keksen und auch keine Aufrufe zur gemeinsamen Demo gegen Zirkustiere… Ich kann nicht zeigen, dass ich ein selbstloser Gutmensch bin. Denn ich bin es einfach nicht. Aber die perfekte Mutter kann es – und tut es… Eine Bilderflut von hübschen, selbstgenähten Sportsäckchen, bunten selbstgehäkelten Kindermützchen, selbstgemachten veganen Torten – und dazu natürlich von selbstgemachten, perfekten Kindern… Die Kinder im Chor, die Kinder beim Capoeira, die Kinder beim „Chinese-for-Kids“-Kurs. Immer und immer wieder…
Und nun weiß ich, liebe perfekte Mutter, was Du brauchst für Dich: ANERKENNUNG – für all Deine guten Taten… Kein Friseurbesuch, keine Physique-57-Stunde, kein Powershopping kann Dir geben, was Du von 50 Daumen hoch bekommst… Du bist perfekt und Alle sollen es sehen. Du hast mich erwischt: Ich sehe es. Und ich bin beeindruckt… Und ich stelle fest: Du brauchst mich – denn nur ich kann all Deine Taten anerkennen. Denn ich bin so wenig selbst-aufopfernd. Und wenn Du mich nicht hättest, und alle so perfekt wären wie Du, dann würde Keiner Deine Perfektion merken… Also behalten wir das bei, was wir haben: Du organisierst die perfekte Eltern-Weihnachtsfeier für die Schule und ich komme und betrinke mich…
Ich danke Dir!
8 Comments
Was perfekte Mütter oft nicht wissen: Auch ihr ach so liebevoll gestaltetes Pausenbrot landet im Matsch oder ungegessen und verschmäht im Mülleimer, wenn ein anderes Kind eine Großpackung Schokoriegel aus der Metro (weder vegan, noch laktose- oder glutenfrei, dafür einzeln verpackt in Kunststoff) oder einen Sack gelatineghaltiger Haribos voller naturidentischer Farb- und Aromastoffe mitbringt und auf dem Schulhof verteilt.
Was eine kolossale Genugtuung für uns alle.
Das ist ein unglaublich lustiger Beitrag von dir! Tränen gelacht. Ich bin bei dir…auch nach der Eltern-Weihnachtsfeier! Prost!
Danke!Dann freue ich mich auf’s PROST!
Oh, Mann. Ich fühle mich ertappt. Bin über’s Googlen(Wie um alles in der Welt bekommt man eigentlich diese Augen auf’s niedliche Pausenbrot?) auf deinen Blog gestoßen. Vielen Dank!!!! Manchmal muss man etwas geerdet werden :). Ich lasse mich von den Müttern, die es augenscheinlich besser drauf haben als ich, viel zu schnell anstecken.
Gerne gerne! Es freut mich sehr, dass ich offensichtlich trotz nichtexistentem SEO-Wissen über Google auffindbar bin! Und niemals vergessen: Die Anderen könnens auch nicht besser – die tun nur anders…
[…] kann nicht immer pünktlich sein, ich kann mir nicht alles merken, ich kann mich nicht um Dinge wie Bio-Pausenbrote mit Gemüse-Gesichtern kümmern. Ich kann nicht jede Woche drei Blogeinträge schreiben. Denn das Baby braucht mich. Und […]
[…] ich auch selbst kein Brot backe, sondern das dem gelernten Bäcker überlasse, wie ich auch selbst mir keinen Wintermantel […]
[…] Weder schreibe ich in Klassenchats (auch nicht in Elterngruppen…), noch lege ich ihm ein Brotzeitbrot mit Clowngesicht in die Brotdose. Er soll schließlich cool sein. Aber natürlich frage ich nach den Mädchen, freue […]