Kinder

Unerzogene Bälger – Der Tod des Abendbrots!

9. Dezember 2016

Unerzogen! Das war doch früher nicht so…

„Benimm Dich daheim wie beim König, dann kannst Du Dich beim König benehmen wie daheim…“ So lautet ein Spruch meiner Kindheit. Meine Eltern legten sehr viel Wert auf Tischmanieren. Bei anderen Dingen waren sie eher „lax“ – aber bei Tisch musste das Benehmen stimmen. „Unerzogen“ wurde nicht geduldet.Es wurde gewartet bis die Eltern anfingen zu Essen, es wurde eine Fleischgabel und ein Käsemesser benutzt. Selbstverständlich gab es Stoffservietten und Vorlegeteller. Es durfte nicht geschmatzt, wohl aber sich rege unterhalten werden. Das Essen war Famlienzeit. Hier wurde wieder für Ordnung im System gesorgt. Die Rollen wurden wieder zurecht gerückt. Der Vater saß am Kopfende.  Der vergangene Tag wurde besprochen, die neuen Aufgaben für den nächsten Tag verteilt. Störungen waren unangebracht. Eingehende Anrufe auf dem Festnetz wurden nach doch zu nervendem Klingeln mit „Wir essen gerade. Ich rufe zurück“ abgewürgt und der Anrufer kam mit der väterlichen Aussage „Haben die denn keinen Anstand? Es ist halb acht!“ auf eine schwarze Liste. Der Hörer musste dann neben das Telefon gelegt werden um ein „besetzt“ zuzutäuschen. Das Abendbrot war für die Familie. Nicht für unerzogene Kinder.

Der auffallende Unterschied von erzogen und unerzogen.

Ich denke, dass ich nicht allzu streng bin. Doch offenbar haben sich die gut funktionierenden Floskeln meiner Eltern  in meine Erziehung geschlichen. Ich verlange Benehmen am Tisch. Zumindest fällt mir auf, dass sich andere Kinder anders als meine Kinder am Tisch gerieren. Und zwar ganz schlecht und unerzogen anders. Die neue beschleunigte Lebensart der Eltern lässt manche Kinder nur noch in befehlston-artigem Stakatto sprechen. Da höre ich von einem famlienfremden Achtjährigem einfach „SAFT!“. Auf meinen Hinweis er möge bitte in ganzen Sätzen sprechen, kam „Kann ich bitte Saft.“ Wurde das Verb obsolet? Ist es der Elterneffizienz zum Opfer gefallen? Haben wir keine Zeit mehr für ganze Sätze? Was machen andere Eltern am Abendbrot-Tisch mit ihren Kindern? Unterhalten sich Andere nicht mehr grammatikalisch korrekt? Ist das Handy etwa am Tisch dabei? Oder gar der Fernseher? Warum zelebriert man nicht, dass man Essen hat und eine Familie mit der man es genießen kann? Bin ich altmodisch???
Dem Alter der Kinder geschuldet sage ich auch öfter „Nimm die Gabel!“, „Nicht den Ärmel benutzen, wenn hier die Serviette liegt…“ aber wir unterhalten uns auch – in ganzen Sätzen. Selbst wenn es Kritik am selbstgekochten Abendmahl geben sollte, sagt mein Fünfjähriger „Das schmeckt mir nicht.“ Ein anderes, familienfremdes Kind schrie dereinst „Ihgitt. Da sind ja Brocken drin. Bäh!“ Ich habe ihm engelsgleich erklärt, dass die „Brocken“ Stückchen von der Kartoffel sind, denn ich habe den Kartoffelbrei selbst gestampft, mit Butter und Sahne verfeinert und das ist dann halt eben so. Daraufhn erklärte mir der Gast – unerzogen: „Bei uns gibt’s das nicht. Bei uns kommt der aus der Tüte. Da sind auch keine Brocken drin. Das ist besser.“ Aha… „Und ausserdem darf ich daheim auch Cola.“ Na dann…

Ist unerzogen cool?

Für mich ist der Abendbrottisch der Spiegel der Erziehung. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen, hier ist es so einfach auf gesellschaftliche Defizite zu stoßen, hier bin ich Spießer. Das ist mein Tisch – da gelten meine Regeln. Es macht mich verrückt, wenn Kinder einfach während des Essens aufstehen und umherrennen. Ich kann nicht verstehen warum Drittklässler nicht mit Messer und Gabel umgehen können, aber auf einem iPhone Strategiespiele schaffen – an der Feinmotorik kann es also nicht liegen. Und ja – ich schaue auch bei Dinner-Einladungen oftmals unbewusst ob die Dame gegenüber mit dem etwas zu kurzen Rock und den weißen Lackschuhen in der Lage ist die richtige Gabel zur richtigen Zeit richtig zum Mund zu führen oder Ketchup will… Ich glaube auch, dass es vielen Frauen auffällt, wenn sich jemand „schlecht und unerzogen“ am Tisch benimmt. Warum aber legen viele Eltern keinen Wert mehr auf Tischmanieren? Ist gegenseitger Respekt beim Essen nicht mehr wichtig oder modern? Gibt es keine Grenzen mehr für Kinder und nur noch selbstbestimmtes Ausleben der kindlichen Eigenarten? Oder gibt es das Abenbrot einfach bei vielen Familien nicht mehr? Bedeutet der Tod des ordentlichen Abendbrots den Tod der Werte-Gesellschaft? Ist unerzogen das neue hip?

Mein Kampf gegen unerzogen…

Ich werde das Abendbrot wieder als Raum des kultivierten Miteinanders stärken. Ich werde weiterhin den minder-manierten Kindern verbieten aufzustehen bevor die Erwachsenen fertig sind, zu schreien oder Alles mit den Händen zu Essen. Ketchup wird komplett verbannt – denn Wiener werden mit Senf gegessen! Zudem wird es vermehrt Blauschimmelkäse und getrüffelte Entenleberpastete geben. Getränke stehen in Karaffen auf dem Tisch und enthalten keine Kohlensäure. Ich finde so schlage ich wieder mehrere Fliegen mit einer Klappe: Ich kann Erwachsenen-Essen essen, die Kinder sehen mehr als Schinken und Gouda in Scheiben und ich kann familienfremden Kindern die Welt vielseitigster Abendbrotspeisen zeigen. Und wenn sie das nicht wollen, dann kommen sie eben nie wieder zum Essen zu uns und ich habe meine Ruhe…

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3 Comments

  • Reply Steffi 10. Dezember 2016 at 1:12 pm

    Sehr wahr! Einfach mal sitzen bleiben und Ellenbogen vom Tisch! So ist es.

    • Reply Mami und Gör 12. Dezember 2016 at 9:31 pm

      Und immer schon die Gabel zum Mund und nicht den Mund zur Gabel…

  • Reply Das wundertollste Lieblingskind | Mami und Goer 28. Januar 2021 at 3:40 pm

    […] Erziehungsstile. Von überschwänglichem Loben allein fürs richtige Atmen bis hin zur immerwährenden Benimmmaßregelung allein fürs falsche Atmen. Ein besonders Lob und eine Aufforderung an die Umstehendem zur […]

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