Mütterliches Entrümpeln vs töchterliches Schlampern
Meine Mutter liebt es zu entrümpeln. Immer und immer wieder. Sie trennt sich gern, um wieder Platz für Neues zu haben. Sie ist erstaunt, welch modische Ungetüme es in ihren Schrank geschafft haben und besitzt kaum ein Stöffchen, dass älter als fünf Jahre ist. Denn in ihrem Alter ist Vintage eben nicht Vintage, sondern nur alt. Sie ist nicht alt – sie bewegt sich im modischen Jetzt. Ich bewege mich im modischen Ich – relativ unabhängig von Trends. Ich brauche Alles, denn ich trage Alles – Herrenschnürschuhe zum Spitzenkleid oder Pelz zu Turnschuhen. In die Höhe wachsen werd‘ ich nicht – in die Breite wachsen will ich nicht. Mir passen noch Sachen, die ich schon zum Abiball meiner kleinen Schwester anhatte. In der Mode gilt: It’s all just a history repeating. Also müssen die Sachen bei mir so lange bleiben, bis sie wieder en vogue sind. Mutter sieht das anders – sie nennt mich gschlampert oder Schlamperin – was übrigens nichts mit Schlampe zu tun hat. Ich bin sehr treu – auch meinen Klamotten gegenüber…
Der Moment der Erleuchtung: Das Entrümpeln hat’s genommen…
Meine Mutter hingegen ist gnadenlos. Emotional geladene Kleidung wie mein Kommunionkleid gingen schon in der Woche nach der Feierlichkeit an eine Freundin. „Des war zu teuer für nur einmal anziehn und aufheben brauchst des au ned, wer weiß ob des Deim Kind passt oder obs bis dahin die Kirch no so gibt.“ In Zeiten katholischer Missstände weise Worte. Sie ist realistisch. Sie ist pragmatisch. Ungerührt gibt sie meine Sachen weg. Kürzlich war ich in meinem Heimatort und sah die 16-jährige Tochter einer Metzgereifachverkäuferin mit einer dunkelroten Homeboy-Regenjacke. Sie war cool – sie war vintage. Sie war meine!! Auf Nachfrage kam: „Die war jetzt so lang im Keller, die wollte weg.“ JA – sie wollte zu mir! Wie so vieles…
Ein Moment der Schwäche: Ist Entrümpeln doch gut?!
Ja – Vieles ist bei mir. Sehr vieles. Also dachte ich mir: Versuch doch mal ein bisschen Platz zu schaffen. Ich wollte -ganz neues Jahr, neues Glück- einmal den Hauch eines Gefühls von „The life-changing Magic of Tidying“ verspüren. Dies verspricht nämlich die Aufräumberühmtheit Marie Kondo. In einem Interview gab die Japanerin an schon im Alter von fünf Jahren mit großer Vorliebe Haushaltsmagazine gelesen und Ordnung als größtes Gut empfunden zu haben. Genau hier hätte ich feststellen müssen, dass diese asiatisch-kindliche Ordnungsliebe mir nicht erstrebenswert, sondern höchst suspekt und zwangsgestört erscheint. Ich habe mich dennoch ein wenig anstecken lassen und folgte dem allgemeinen cleaning-cleansing-trend. Schon jetzt vermisse ich die Kittenheels, die ich mit dem Gedanken „wegen der Knie-OP soll ich keine Absäte tragen“ wegwarf. Zugegebenermaßen trage ich seit 2006 maximal zweimal im Jahr Absätze – aber just übermorgen würden genau diese Kittenheels super zu meinem geplanten Mädels-Abend-Outfit passen… Wie überaus ärgerlich…
Hallo, mein Name ist Bettina und ich bin abhängig von Zeug. Meinem Zeug…
Darf es ein bisschen mehr sein?
Das neue moderne Lebensgefühl geht hin zum Minimalismus. Ein Smartphone, das Alles kann. Eine hübsche, ungefüllte -möglichst weiße- Wohnung, in welcher Dinge nicht rumstehen, sondern kuratiert sind. Ein Essen, das alles Gesunde in sich vereint; Geschmacksverstärker, Salz, Gluten oder Laktose werden weggelassen. Nur noch eines – von Allem… Das Streben nach Leere sorgt für neue Lebensfülle. Entledige Dich!
Wenn man das Ganze komplett durchzieht und in Marie-Kondo-Manier immer Alles, was man gerade nicht braucht, was schon zu lange rumsteht, was derzeit keinen wirklichen Zweck erfüllt oder was gerade nicht modern anmutet, entsorgen würde, hätte viel zu viel viel zu wenig Daseinsberechtigung. Der Ausdruck des Persönlichen würde fehlen. Wollen die Japaner uns dahin führen? Mehr ZEN, weniger Zeug? Ich brauche Alles. Ich gebe nichts her. Irgendwann, liebe Männer, seid Ihr uns dankbar, dass wir an etwas hängen, wo uns der Zweck im Augenblick verborgen erscheint…
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[…] aus der Maternity Leave zurück in den Joballtag. Es gibt postnatale Depressionen, die in extremen Kondo-ing enden, es gibt Milchabpump-Desaster vor Kollegen, es gibt Streß mit Vätern und […]