Kinder

Lernentwicklungsgespräch: Der kindliche Selbstverpflichtungs-Vertrag

6. Februar 2020
Auszug aus dem Lernentwicklungsgespräch. Der Bogen zeigt eine Einteilung von sehr gut bis muss noch üben. Das Kind hat sich überall mit sehr gut vermerkt.

Früher gab es das Zeugnis, heute das Lernentwicklungsgespräch

Es klingt ja so viel besser als Halbjahreszeugnis: das Lernentwicklungsgespräch. Seit einigen Jahren bekommen die Eltern von Grundschülern bei uns keinen Leistungsreport vom Kind, sondern das Kind darf mit dem Lehrer selbst festlegen, was es denn super, gut, ganz gut oder weniger gut -verbildlicht durch Sternchen/Smileys- kann. Im Vorfeld bekommt das Kind einen Beurteilungs-Bogen und darf sich selbst die entsprechenden Sternchen/Smileys mittels eines grünen Punktes markieren. Dann geht der Bogen an die Lehrer und diese geben -andersfarbig und in Kreuzchenform, um die Lehrer-/ Kindereinschätzung unterscheiden zu können- ihr Urteil ab. Die “persönliche Beurteilung“ findet dann in Anwesenheit von Eltern, Kind und Lehrer statt. In rund zwanzig Minuten geht der Lehrer jeden einzelnen zu beurteilenden Punkt mit dem Kind durch. Auf einer Seite des Tisches sitzen Lehrer und Schüler, auf der anderen Seite die Eltern. Das Gespräch erfolgt nur zwischen Ersteren. Ich schaue zu. Ich sehe: Mein Kind blickt etwas nervös drein. Der Lehrer ebenfalls – er beginnt er jeden Satz mit „Hmmmm, schau mal wie Du Dich selbst und wie Dich Deine Lehrer hier eingeschätzt haben…“ Hmmmmm, ich schau mal, wie ich das Alles hier so einschätze…

Neue Kriterien im Lernentwicklungsgespräch

Mein Kind ist großartig. Es hat eine besonder Kreativität im Ausdruck. Unlängst hat es den Ball ins Tor geschissen, wollte mit einer Freundin Rudeln gehen oder behauptete steif und fest das Gegenteil von Einzahl sei eben Auszahl. Mein Kind hat extrem gute Freunde in seiner Klasse, Kinder die es schon von Krippenzeiten her kennt. Das Kind kann sich für fast Alles interessieren und ist einfach toll. Das Kind geht sehr, sehr gerne in die Schule und will wirklich etwas lernen. Mein Kind ist glücklich und sehr zufrieden mit sich – das zeigt es auch, denn es hat fast durchgängig den Super-Smiley für sich angekreuzt. Der Lehrer fragt „Hmmm, meinst Du nicht, Du könntest da noch etwas ordentlicher arbeiten?“ Mein Sohn ist irritiert. Ähh – NEIN! Er sagt, er finde das tut er, denn schließlich hat der den Super-Stern angekreuzt. Der Lehrer hmmmmttt weiter. Er versucht mein Kind davon zu überzeugen, dass Hier und da -im Vorlesen- noch etwas Luft nach oben sei. Der Sohn zeigt sich einsichtig; er will einfach schnell den Bogen durchgehen. Sein Ziel ist es möglichst flink zur Einschätzung von Sport und Mathe zu kommen – getreu dem Motto „Das Beste kommt zum Schluß“. Für Sport und Mathe hat das Kind eine neue Smiley-Kategorie für das Lernentwicklungsgespräch erfunden: für sich kreierte er den Sterne-Super-Smiley.

Der Weg zum Ziel

Ich bin als stille mütterliche Beisitzerin höchst erfreut über diesen Ausbruch an Kreativität. Das Kind ist besser als am besten. Es lehnt sich siegesgewiß nach hinten. „Ja, weil neulich habe ich als Erster die Matheprobe abgegeben und hatte noch dazu keinen Fehler.“ Ich bin beeindruckt: das Kind verbindet Mathe und Sport. „ Als Erster!“ Der Lehrer sieht meinen mütterlichen Stolz! Ich will das Kind umarmen, doch werde zurückgehalten. „Bitte nicht jetzt, die Interaktion sollte nur zwischen Lehrer und Schüler sein.“ Offenbar ist meine Anwesenheit im Lernentwicklungsgespräch rein schmückender Natur. Er hmmmmmt wieder. Er sagt das Kind müsse jetzt aber dennoch ein paar Ziele festhalten, an denen es noch zu arbeiten gedenkt. Dem Kind fälltS nicht ein. Gemeinsam mit der Lehrkraft wird eruiert, dass es etwas mehr lautes Lesen üben sollte. Unter Umständen vielleicht pünktlich zum Unterrichtsbeginn anwesend sein könnte (das Kind hat Probleme mit dem morgendlichen Bett-xit.) Vielleicht die Elternbriefe rechtzeitiger abgeben könnte. Lieber häufiger Schulmaterialien auf Vollständigkeit überprüfen. — Einschub der Mutter: gerne auch selbstständig Brotzeitboxen vor Angriff der Schimmelpilze aus dem Geheimfach des Schulranzens entnehmen— In Summe: Etwas weniger vergesslich und verplant in der Selbstorganisation sein.
Sorgsam wird unter den Sternen/ Smileys eine „Verabredung“ (=Ziele) formuliert. Das Kind beäugt den Lehrer beim Schreiben. Nachdem der Lehrer fertig ist, soll das Kind sich die Gesamtbeurteilung, sowie die vereinbarten Ziele nochmals in Ruhe ansehen und dann unterschreiben. Es wurde also ein Selbstverpflichtungs-Vertrag aufgesetzt und abgesegnet. Mein Achtjähriger unterschreibt schwungvoll.

Die Lehre aus dem Lernentwicklungsgespräch

Der Lehrer steht auf. Er hmmmmt nochmal und sagt, dass wir etwas überzogen haben. Ich wundere mich, wen er mit „wir“ meint – denn ich saß die gesamt Zeit über stumm am anderen Tischende. Ihm folgend stehe ich auch auf, nehme meinen Mantel und strecke meine Hand zum Abschiedgruß aus. Das wars. Das Kind hat offenbar nun genug gelernt, sich entwickelt und gesprochen. Ich hingegen habe gar nicht gesprochen. Noch etwas gelernt. Ich habe nicht erfahren, wie viel zu spät mein Kind zur Schule kommt (er verlässt das Zuhause zwar kurz vor knapp, aber theoretisch könnte er pünktlich sein…), welche Zettel er hätte abgeben müssen. Da ich auch über anderweitige Dinge nichts erfahren habe, bin ich der Annahme das Kind verhält sich dermaßen problemlos, dass ich über anderweitige Dinge nicht informiert werden muss. Folglich sind Kind und ich äußerst zufrieden und glücklich mit dem Gesamtergebnis „unseres Lernentwicklungsgesprächs“. Und auch zufrieden mit der weiterhin bestehenden Unwissenheit über Leistung und Ziele…
Als wir draußen sind, frage ich das Kind: „Hast Du Dir gemerkt, welchen Zielen Du mit Deiner Unterschrift zugestimmt hast?“ „Also, ich soll mehr vorlesen und ein bisschen pünktlicher sein.“ Sagt das Kind „Ja, eines fehlt noch.“ meine ich. Das Kind konstatiert „Das habe ich vergessen. War dann wohl nicht wichtig.“
Am nächsten Tag war das Kind zu spät und hatte seine Schwimmsachen vergessen… Der fehlende Punkt war der Punkt generell besser organisiert und weniger vergesslich zu sein.

Der große Sohn wird mir am 14. Februar sein Zwischenzeugnis übergeben. Ich freu mich. Nicht, weil es im Ergebnis besser sein wird, sondern weil es einfach schneller geht.

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2 Comments

  • Reply Susi Büntchen 8. Februar 2020 at 8:13 am

    Dieser Artikel ist hoffentlich nicht ernst gemeint, sondern als lustige Satire, wie sehr Eltern ihre Kinder überschätzen und in völlig falschem Licht sehen.
    Schön, dass du über dich selbst lachen kannst und dir das gute alte Zeugnis mit Noten und einer Bemerkung wieder wünschst. Sowas versteht ein kleines Kind wenigstens.

    • Reply Mami und Gör 10. Februar 2020 at 10:35 am

      Hallo Susi,
      Danke für Deinen Kommentar… Der ganze Blog ist nicht ernst gemeint… Ich will nur unterhalten.

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