Willkommen in der Pubertät
Es motzt. Die Antwort auf meine einfache Frage ist „Mir doch egal.“ Die Frage lautete „Bist Du müde?“. Es macht sich fertig, um mit dem Rad zu fahren. „Nimm bitte einen Helm!“ sage ich den kindlichen Kopf schützen wollend. „Nein, damit sehe ich so beschissen aus“ sagt der pubertierende Kopf. „Wenn, dann nehm‘ ich Deinen. Meiner passt eh nicht mehr.“ Die beiden Helme haben dieselbe Größe. Er weiß das, es geht ihm ums Prinzip. Sohn Nummer eins ist gefangen zwischen Kind und Erwachsenem, er weiß nicht ob er kuscheln will oder hassen will. Er ist fast dreizehn Jahre alt. Wir leiden an Pubertät.
„Oh Mann, hau ab. Du nervst!“
Auf der Stirn meines Erstgeborenen machen sich Mitesser breit. Die Hormone. Die Knie des Kindes sind voller Dreck. Der noch kindliche Spieltrieb. Ein Teil des Körpers sieht nach Kind aus, ein Teil des Körpers riecht nach Pubertät, ein Teil des Körpers wächst wie Unkraut. Alles durcheinander. Wie die Hormone. Ich habe gelernt, dass Pubertierende nicht Herr ihrer Gefühle sein können, das habe etwas mit dem Frontallappen zu tun. Wenn das Kind also wieder einmal voller unkontrollierbarer Gefühle ist und austickt, lächele ich wissend und flüstere ihm zu „Du Armer, ich weiß, das ist Dein Vorderlappen, der Dir das antut“. Ich habe auch gelernt, dass es vollkommen normal ist, dass die Mutter am meisten nervt – dicht gefolgt von den Geschwistern. Sohn zwei leidet am meisten unter den Hormonen von Sohn eins. Denn Sohn zwei ist noch niedliches Kind und Sohn eins weiß das. Und das NERVT natürlich, denn Sohn zwei scheint sich selbst noch unter Kontrolle zu haben.
Talkin‘ ‚bout my Generation…
„Ja moin, wir haben heute keinen Sport gemacht, aber der Lehrer hat uns erzählt dass er einen Crush hat, das war echt cringe. Dann haben wir noch im Pausenhof gecornert.“ sagt der Sohn. Ich bin fasziniert, wie viele neue Wörter sich das Kind offenbar täglich merken kann und wie wenig er sich merken kann, dass man die Pausenbrotbox täglich aus dem Rucksack nimmt. Ich stelle fest, dass der Wortschatz des Kindes ebenso wächst wie seine Nase. Beiden mehr oder weniger sinnvoll.
Ich erinnere mich, dass bei mir auch einiges gewachsen ist. Aber nicht im Alter meines Sohnes, nicht mit zwölf! Mit zwölf, dreizehn war mein Hauptaugenmerk auf Sport, genauer Leichtathletik. Ich war ein „late bloomer“ – dafür sproß und blühte es quasi über Nacht. Meine Mutter meint: „Du warscht ewig klein und ganz schmal. Aber dann bisch auf einmal explodiert – und zwar in glei‘ alle Richtungen.“ Da war ich fünfzehn. Mein Hauptaugenmerk wanderte von Leichtathletik zu Marc F. Vollkommen normal, mit fast sechzehn…
Ich muss wohl bitten…
Bei Kind eins passiert die Hormon-Explosion nun mit knappen dreizehn. Für mich zu früh. Für andere Eltern ein Traum. Denn sie kämpften schon mit ihren Kindern, das waren just diese erst zehn oder elf. Kleine Mädchen in Anna&Elsa-T-Shirts – mit Brüstchen-Ansatz. Buben, die zwar nur 1,50m groß sind, aber wie Schmutz anmutenden Flaum auf der Oberlippe haben. Und dann erst das Thema Sex… Ich weiß um „Mädchen“, die bereits mit dreizehn die Pille nehmen – nicht der Pickel wegen, nein, der wahren Verhütung wegen… Wie kann das denn sein??? Das war doch früher nicht so. Oder? Also sicher nicht bei mir… Oder in meinem Dorf.
Früher waren wir später dran. Nicht weniger dran, aber immerhin später. Von Sechzehnjährigen erwartet man Widerworte. Interesse an Petting und Co. Aber von Mädchen, die noch nicht mal das offizielle Teenager-Alter erreicht haben zu hören, wie man einen Mitschüler körperlich erfreuen kann???? Ich bin schockiert und warte darauf, dass gleich Elyas M’Barek als Lehrer um die Ecke kommt und mich aus der gefühlten Fack-ju-Göhte-Hölle erlöst…
Also, die anderen…
Nun ist es so, dass die Kinder früher ihren Hormoneinschuß bekommen und die Mütter später ihren Hormonabfall erleben. Da es viele Spätgebärende in meinem Freundeskreis gibt, treffen hier und da Pubertät auf Klimakterium. Bin ich zu Gast bei einer Freundin, kann ich die Hormone dort deutlich spüren. Und teilweise riechen. Auf jeden Fall kann ich sie hören, den Konversationen zwischen Mutter und Kind nehmen neue Dimensionen an. Wenn es schlimm ist, wechselt das Kind tagelanges stoisches Schweigen gegen kontinuierliches Geblaffe, was bei Jungs mit Stimmbruch immer zu einer Erheiterung meinerseits führt. Schriekt der Sohn zwischen fünfgetrichenem Cis und C0, wird jeder Vorwurf ein Brüller. Der Sohn der Freundin versucht weiterhin seinem Wunsch Nachdruck zu verleihen, aber die Hormone gehen durch und er wirft seinen Pulli so ungeschickt, dass dieser sein neues Handy vom Tisch fegt. Er eilt zur Kontrolle und ist schon wieder bestens gelaunt, denn das Display hat keinen Schaden. Der Sohn lächelt und ist wieder glücklich. Der pubertierende Körper ist ein seltsames Wesen.
Mein Pubertierender ist MEINER
Früher war eben Alles etwas später. Es macht keinen Sinn. Ich wurde später Mutter als meine Mutter, mein Kind ist früher in der nicht mehr Kind als ich es war. Ich nehme es mal hin. Ändern geht nicht. Ich freue mich über die Augenblicke, wo das Kind durchkommt und er kuscheln will. Wenn er mir morgens ganz freiwillig das Tschüß-Bussi gibt. Wenn er mich um Rat fragt. Ich freue mich auch, wenn der Pubertierende selbst im Hormonwahn feststellt, dass Eltern doch einen gewissen Nutzen haben. Auch wenn sich dieser auf Fahrdienste oder Geldübergabe beschränkt.
Der Lauf der Zeit läuft hier früher ins Pubertät-Ziel. Ich bin auch schnell. Dann hole ich das Kind wieder ein und küsse es vor seinen Freunden…
HINWEIS: Keiner der abgebildeten „Herren“ ist mein Sohn. Der Eine ist ein Dreizehnjähriger gefangen im Körper eines 44-jährigen, der andere ist ein dereinst braver dreizehnjähriger Internatsschüler aus meiner Familie.
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