Erwachsene, Mami fährt weg

Der blanke Irrsinn: Hüttenwochenende mit vier Kindern

23. Januar 2020
Ein Hüttenwochenende in den Bergen. Eine eingeschneite Holzhütte, mit in den Schnee gesteckten Skiern. Ein blauer Himmel mit leichten Schleierwolken im Hintergrund

„Ach, lass und doch mal zusammen ein Hüttenwochenende machen…“

…so klang der Satz meiner skibegeisterten Freundin. Verlockend. Ein Wochenende in den Bergen, umgeben von nichts als der Natur. Der Schnee und wir. Gemütliche Hütte. Fein-deftiges Hüttenessen. Wohlriechende Karobettwäsche im schlaf-förderndem Zirbenholzzimmer. Ja, es klang so verlockend, dass ich direkt Kontakt aufnahm mit der Wirtin der ausgewählten Hütte. Per Mail wurden Daten zu Reiseterminen, reisenden Personen und Hinweise zur verpflichtenden Nachtruhe ausgetauscht. Wir haben gebucht. Meine Freundin samt geehelichtem skiverrücktem Schweden, deren zwei Ski-versierten Kinder und wir.

Kleines Gepäck für ein Hüttenwochenende? Nicht mit uns!!!

Ja, ich habe schon mal in einer Hütte auf einem Berg übernachtet. Häufiger sogar. Früher – zu einer Zeit in der ich alles Notwendige in einen angenehm zu tragenden Rucksack packen konnte. Für mich. Allein. Auch diesmal packte ich lediglich frische Unterwäsche, Schlafanzug, Waschzeug, Hüttenschuhe, Wechsel-Shirt und ein Handtuch ein. Unterschied zu früher: Jetzt für sechs Leute. Hinzu kamen noch Windeln, Feuchttücher, Milchflasche, Kuscheldecke und Aufladekabel. Für Kind eins musste Schulaufgaben-bedingt noch ein Englischbuch mit, für Mann, Tochter und mich jeweils noch ein paar feste Winterschuhe, denn wir wollten sowohl Skifahren wie auch mit den Kleinen rodeln – oben, auf dem Berg… Wir hatten vier Rucksäcke, eine Tasche (der Mann!!) zwei Schlitten und fünf volle Skiausrüstungen, die zur Hütten mussten. Und wir hatten einen guten Plan…

Wenn der Berg sich nicht an den Plan hält…

Im Vorfeld hatte ich Frau Hüttenwirtin explizit und mehrmals unsere Kinderkonstellation und unser Vorhaben dargelegt. Die stete Antwort war „Ja, des is koa Brobläääähm. Wir hamma öfta Familien herobm. Brausch halt a halbe Stund.“ Das klang wahrhaft nach keinem Problem. Mein Ingenieurs-Mann entwickelte schon vor Abfahrt zum Hüttenwochenende ein Transportkonzept, das zwei Schlitten, zwei Rucksäcke, die Tasche, seine Skiausrüstung und einen Zweijährigen beinhaltete. Der Rest wurde von den Anderem am Mann befördert. Dieses Konzept funktionierte prima – rund vierzig Minuten. Das Problem war aber, dass wir nach Aussagen der ortskundigen Skilehrer nach bereits vierzigminütigem strammen Fussmarsches noch rund anderthalb Stunden von der Zielhütte entfernt waren. Und es lag nicht an unserem Tempo oder falsch genommenem Weg. Es lag an der komplett unrealistischen Einschätzung von Frau Hüttenwirtin. Drei von vier Kindern waren bereits mit den Skiern -und unseren Freunden- Richtung Hütte unterwegs. Sie hatten keinen Empfang. Vor uns lag ein steil abfallender Skihang und danach ein stetig in Richtung Wolken ansteigender Forstweg. Die Hütte war noch immer „hinterm Berg“. Die Uhr zeigte 15.35h. Wir waren mitten am Berg. Im nirgendwo. Die Sonne ging schon unter – ein eisiger Wind frischte auf. Die Pisten wurden leerer. Menschenleer. Das Baby brüllte – die Tränen gefroren im Gesicht. Es zitterte. Ich hatte Angst. Riesenangst.
Meine Beschützerinstinkte und sämtliche anderen Gefühle liefen Amok…

Wenn Mami im weiten Weiß zur brüllendes Löwin wird…

Eine Lösung musste her. Die einzige Lösung war: Jemand holt uns samt Gepäck ab und bringt uns zu den anderen Kindern. Dafür musste aber JEMAND -nennen wir es mal- „überzeugt“ werden… Nach einem wilden Wortkampf mit/ zwischen mir, Mann, Hüttenwirtin, Bergwacht, Skilehrern und Unbeteiligten, nach wüsten Drohungen und Stellen von Bedingungen, nach Auseinandersetzungen, Geschrei, Gezeter und geheucheltem männlichem Verständnis (er ist immer good cop…), hatten wir es geschafft. Wir wurden abgeholt. Mit einem großen, 480 starkem Fahrzeug.* Das Baby und ich trockneten unsere Tränen und wir waren wieder versöhnlich mit der Welt. Mit der Welt, nicht jedoch mit Frau Hüttenwirtin. Diese meinte bei Ankunft erstaunlich überrascht „Ahhso, des hasch ned gsagt, dass der Kloa ned Skifahn ko und no Windln braucht. Ja dann braucht ma freilig länger“… Eine Millisekunde wollte ich sie unter dem 480PS starkem Fahrzeug sehen. Aber wir waren am Ziel. Letztlich. Der gemütliche Teil vom Hüttenwochenende konnte beginnen. Die Zimmer waren gemütlich, die Bettwäsche kariert, das Essen sehr gut, das Bier günstig. Die Kinder waren müde… Wir waren auf der sicheren Seite. Zumindest für die Nacht…

Der Weg zurück…

Der Weg zurück war lang, schon wieder steil und fordernd. Aber wir haben es geschafft – ganz allein, der Mann, das Baby und ich. Kind eins, zwei, drei durften mit den Freunden bei Neuschnee und blauem Himmel Skifahren. Ich nicht. Ich habe gezogen, getragen, geschoben, geschwitzt. Eine sehr kurze Strecke konnten wir rodeln – der Mann auf seinem selbst-ingenieurtem Aufbau aus Schlitten, Skiausrüstung und IKEA-Tasche, ich mit Baby. (Video hier) Eine sehr lange Strecke mussten wir zur Gondel an der Bergstation hoch“laufen„. Das Baby hatte Spaß. Und ich brachte trotz zweimal Spaghetti Bolognese und einmal Kaspressknödel zwei Kilo weniger an Gewicht mit nach Hause…

Die Erkenntnis des Hüttenwochenende

Sollte ich nochmals ein Hüttenwochenende verbringen, werde ich nur einen Rucksack mitnehmen – für mich. Und ich werde bei Tageslicht mit den Skiern zum Hütteneingang fahren. Ich werde die Skier abschnallen, eine heiße Schokolade mit Schuss bestellen und mich auf die an die Hütte gelehnte Außenbank Richtung Sonne platzieren. Von dort werde ich der Natur und dem Berg zuprosten und mit meinen Freunden das Wochenende ohne Kinder genießen, denn diese sind freiwillig bei der Großmutter geblieben. Ich werde früh morgens aufstehen und als Erste am Lift sein um den First Run zu nehmen.
Oder wir bleiben realistisch: Ich bleibe im Wellnesshotel, im Tal.
Auf jeden Fall habe ich gelernt: Nicht mit skiuntauglichen Kleinkindern auf einer unwegsamen Berghütten übernachten und trau keiner bergbewohnenden Hüttenwirtin, denn deren Distanzeinschätzung ist anders als das von Städtern…
Es war ein Erlebnis…

*Mehr darf ich nicht verraten… Weder wie genau noch wohin genau wir gebracht wurden. Das war Teil des Deals…

SNEAK PEAK: Schon jetzt kann ich verraten, dass das für 2020 nicht mein einziger Urlaub aus der Kategorie „Sachen, die ich niemals machen wollte“ war… Kleine Hinweise: Florian Silbereisen, Uniform, Umweltsünde, Wasser und Gerhard Polt, „I hätt gern an Spaghetti“, Algen, Hering

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